Love Hurts - Carmen Remix
(2003/10) 23' / für Posaune und Orchester nach Themen von Georges Bizet
Uraufführung im Februar 2003 mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, Sebastian Tewinkel (Dirigent), Mike Svoboda (Posaune).
Auftragswerk der Württembergischen Philharmonie.
Besetzung
2 Flöten (beide verdoppeln Piccolo)
2 Oboen
2 Klarinetten in B
2 Fagotte
4 Hörner in F
3 Trompeten in B
2 Posaunen
1 Tuba
Schlagzeug-Instrumente:
1. und 2. Spieler jeweils mit: ein Paar Sandpapierblöcken, ein Paar Becken á due (eher klein, ca. 12„ und 14“), „Waldteufel“, ca. 10 Blatt Papier zum Zerreißen und Zerbröseln, Triangel (klein und mittelgroß), Tamburin, Mundsirene, Große Trommel
3. Spieler: Pauke, „Waldteufel“, ca. 10 Seiten Papier zum Zerreißen und Zerbröseln, Triangel (groß)
Streicher (10.8.6.5.3)
Solo-Posaune
Hinweise zur Aufführung:
Um einen Stereoeffekt zu erzielen, sollten Schlagzeug 1 und Schlagzeug 2 links und rechts von Schlagzeug 3 platziert werden.
Die Tuba sollte in der Nähe der Hörner platziert werden, da die fünf Hörner meist als Gruppe spielen.
Die Trompeten und Posaunen haben drei Spielpositionen: 1) bei K hinter der Bühne, die weit entfernt klingt. 2) bei N neben dem Bühneneingang - zwischen den einzelnen Phrasen ist Zeit, den Ständer zu bewegen. Und 3) auf der Bühne beim Eintritt in N während der langen Fermate in Takt 493.
Arie zum Umblättern
Die Streicher sind nach Pulten aufgeteilt: 5 Pulte für Violine I, 4 Pulte für Violine II, 3 Pulte für die Bratschen, 3 Pulte für die Violoncelli und 3 Pulte für die Kontrabässe. Diese Aufteilung ist für die „Umblätter-Arie“ in den Takten 386-401 von Bedeutung, wo das koordinierte Umblättern Wellen im Meer der Streicher erzeugt.
Duell
In den Takten 397-402 liefern sich der Solist und der Konzertmeister ein „Duell“, bei dem es sich um eine freie Improvisation ihrer Erfindung handelt.
Dirigentensolo
In den Takten 476-493 dirigiert der Solist das Orchester, während der Dirigent die Freiheit hat, eine Art Solo zu spielen. Am Ende der Tremolo-Fermate der großen Trommel in Takt 493 übergibt der Solist das Kommando wieder an den Dirigenten.
Der Monolog des Solisten
Die Takte 499-503 bieten dem Solisten die Gelegenheit, durch das Instrument zum Publikum zu „sprechen“, indem er mit dem Stößel eine Art Worte formt und einen kurzen, verrückten Monolog hält. Bei Bedarf können die Takte 499/500 mehr als viermal wiederholt werden.
Georges Bizet war in seinem kurzen Leben zwar nie in Spanien – aber wie genial verpasste er der europäischen Klassik eine mediterrane Frischzellenkur mit den aufreizenden Rhythmen und sehnsüchtigen Melodien der spanischen Volksmusik! Die Melodien seiner „Carmen“ sind zwar „allgegenwärtig“, so Mike Svoboda – doch genau das reizte ihn, sich mit ihnen auseinanderzusetzen: „Ich verwurste Bizet zwar im Fleischwolf“, sagt Mike Svoboda „aber trotz der Hinzufügung starker Gewürze soll das Ergebnis noch als Bizet-Wurst zu erkennen sein.“
Die Originalität dieser „Verwurstung“ geht schon aus Mike Svobodas Vita hervor. Der vielgefragte Posaunist beherrscht die ganze Palette zwischen Avantgarde bis Jazz und Rock, arbeitete mit Karlheinz Stockhausen ebenso wie mit Frank Zappa. Als Komponist kennt er ebenfalls keine Scheuklappen, schrieb Kinderopern, Solokonzerte und Ensemblemusik. „Adult Entertainment“ nannte die FAZ die Werke des Amerikaners und Wahl-Schweizers treffend.
Dass die „Liebe wehtut“ („Love hurts“), erfährt Don José durch Carmens unbedingten Freiheitswillen allzu schmerzlich. Und Freiheiten erkämpft sich auch der Posaunist in diesem aberwitzigen, mitunter rasend komischen Stück, in dem nicht nur Virtuosität, sondern auch Performer-Qualitäten gefragt sind. Zwar fand die Uraufführung 2003 im Rahmen eines Karnevalskonzerts statt, doch auch im „normalen“ Aboprogramm darf gelacht werden. Dabei ist Svobodas „Carmen“-Remix handwerklich brillant und gedanklich gewitzt – eben nicht nur ein medleyhafter „Greatest Hits“-Verschnitt, sondern ein subtiles Spiel mit rhythmischen und melodischen Partikeln und Assoziationen.
Mit konstantem Habanera-artigen Rhythmus legt das Schlagwerk vor, bevor der Solist aus Liegetönen zu lebendiger Artikulation erwacht. Triller, Glissandi, geräusch- und sprachhafte Tonproduktionen gehören dabei zu seinem technischen Reservoir. Das Orchester schwört sich allmählich auf ihn ein und man findet sich auf dem gemeinsamen Ton a. Ein winziger Motiveinwurf in den Flöten spielt auf das „Chanson bohème“ Carmens und ihrer Freundinnen an. Dann ein kurzer „Aha-Effekt“ mit dem siegesgewissen Torero-Lied. Doch sofort verzieht sich Escamillo wieder in den Jazz-Keller und das schicksalhafte „Todesmotiv“ steigt als melancholische Reflexion in der Posaune auf. In Loop-Sequenzen hakt sich das schmissige Vorspiel wie eine kaputte Platte fest, Triangel und Tamburin klingen und klirren wie in der Original-Bodega des Lillas Pastia. Aus einem geheimnisvollen, fast meditativ-fernöstlichen Zwischenspiel entwickelt die Posaune jazzige Improvisationen über Don Josés Dragonerlied. Heiße Luft? Jedenfalls denkt der Hörer bald an einen Ballon, aus dem selbige entweicht, dank Mundstückblasens des Solisten… Doch auch die Streicher haben bald eine ungewohnte, aber geräuschproduzierende Aufgabe an ihren Pulten. Schließlich kommt es zum Showdown zwischen Solist und Konzertmeister. Einer zieht den kürzeren – und ein Trauermarsch in Mahler-Manier sing das Grablied, umrahmt von Motiven aus der Habanera: „Prends garde à toi“, Nimm dich in acht!, heißt es da. Der Posaunist versucht noch einmal, das Kommando an sich zu reißen, doch dieser Stierkampf geht aus wie das Hornberger Schießen. Beredt bringt sich der Torero noch einmal in Stellung, spricht mit tausend Zungen und wird am Schluss doch von Schicksalsmotiv und rasantem „Chanson bohème“ untergepflügt.
– Dr. Kerstin Schüssler-Bach